Warum ich als w2wtal-Mitgründer die Notwendigkeit eines Neustarts sehe.
Von Lobanowskji
Seit sich unsere Gruppe Ende 2014 zusammenfand – damals mit dem Impuls, sich für konkrete solidarische Strukturen für Illegalisierte einzusetzen – ist viel passiert. Der „Sommer der Migration“ 2015 hatte auch den Fokus unserer Gruppe verschoben; wie so viele andere auch, engagierten wir uns vor allem mit und für neu in Wuppertal angekomme Menschen. Wir sind froh, dass diese Arbeit noch immer von vielen fortgesetzt wird.
Für uns ist dieser Weg jedoch an eine Art Ende gekommen. Wir – oder zumindest jene, die w2wtal 2014 ins Leben gerufen hatten – betrachten Migration als ein zentrales Feld gesellschaftlich-politischer Konflikte. Da können wir nicht darüber hinweggehen, dass es in Folge jenes „Migrationssommers 2015“ zu dramatischen Verschiebungen der Politik gekommen ist. Deren Konsequenzen haben zu einer Situation geführt, in der die Bedingungen für flüchtende Menschen und andere Migrant*innen die Rechtlosigkeit, Ausgrenzung, den offenem Rassismus und die Bedrohung inzwischen noch übertreffen, die 2014 Anlass der Gründung von w2wtal waren. Wir mussten lernen, dass es durchaus „immer noch schlimmer“ geht. Und die Pläne der Bundesregierung zeigen, dass die Entrechtung geflüchteter Menschen immer noch weiter vorangetrieben werden soll.
Gleichzeitig sehen wir, dass trotz einem seit Jahren andauernden Trommelfeuers durch die Vertreter*innen eines „autoritären Nationalradikalismus“ (Wilhelm Heitmeyer) noch immer eine (große) Mehrheit für die weitere Aufnahme von Geflüchteten besteht und dass noch immer viele Millionen Menschen die Arbeit mit und für Migrant*innen fortsetzen. Auch teilt eine große Mehrheit der Bevölkerung das Dogma von „Abschiebungen um jeden Preis“ nicht. (Ganz aktuell belegen das Zahlen der Friedrich-Ebert Stiftung aus diesem Monat.) Dieser Wille zur Aufnahme von Geflüchteten und zur rechtlichen Gleichstellung hier angekommener Menschen wird öffentlich auch massenhaft formuliert, sei es bei den vielen Demonstrationen und Appellen der „Seebrücke“-Bündnisse, den vielen lokalen Beschlüssen, Städte zu „sicheren Häfen“ zu machen oder bei der „Unteilbar“-Demonstration in Berlin, bei der über 250.000 Menschen gegen eine Politik der Ausgrenzung und Entrechtung auf die Straße gingen.
Das alles wird von den Regierenden mit dröhnendem Schweigen quittiert; so, als fände es überhaupt nicht statt. Wenn stattdessen in ganz Europa menschenfeindliche Grundsatzentscheidungen formuliert und durchgesetzt werden, liegt es demnach nicht fehlender gesellschaftlichen Bereitschaft und auch nicht an notwendigen Ressourcen. Vielmehr haben Politiker*innen einer vorgeblich „bürgerlichen Mitte“ die Gelegenheit völkisch-nationaler Mobilisierungen genutzt, in einer Art „Putsch“ einen (nicht nur) migrationspolitischen Rücksturz in finstere Zeiten zu inszenieren. Den globalen ökonomischen und ökologischen Katastrophen, die durch die weltweite Migrationsbewegung auch zu den Verursachern in die Kernländer Europas hineingetragen werden, begegnen die Regierenden in Europa mit immer tödlicheren Barrieren an den EU-Außengrenzen, neuen Lagerregimes für jene, die es dennoch hierher schaffen und am Ende gar mit SEK-Hetzjagden auf „Ausreisepflichtige“ (wie am 19. März in Nürnberg).
Darin manifestiert sich ein absoluter Unwille von Krisenprofiteuren zu substanziellen Veränderungen. (Das gleiche lässt sich im Übrigen auch bei einem Thema wie Klimaschutz feststellen.) Jeder Verweis auf eine angebliche „Belastungsgrenze“ der Bevölkerung ist so nichts anderes als der Versuch, weite Teile der Gesellschaft in eine Art Mithaftung zu nehmen und zum Komplizen des eigenen Handelns zu machen. Wir wollen diese Politik nicht hinnehmen und durch eine Fortsetzung rein unterstützender Arbeit mit und für geflüchtete Menschen auch noch gesellschaftlich abfedern. Vielmehr sehen wir es als notwendig an, dem nationalradikalen „Putsch“ unseren politischen Widerstand entgegenzusetzen – auch auf lokaler Ebene.
Es ist uns bewusst, dass es außerhalb Deutschlands dort noch finsterer aussieht, wo Rechte mithilfe der „bürgerlichen Mitte“ bereits regieren, etwa in Österreich – von Ungarn oder Polen gar nicht erst zu reden. (Das zeigt jedoch nur, dass sich niemand auf eben diese Kräfte der „bürgerlichen Mitte“ verlassen kann.) Und ebenso wissen wir, dass es auch innerhalb Deutschlands für Migrant*innen noch härtere Bedingungen gibt als in Wuppertal. Doch auch in dieser Stadt fanden kurz vor dem Jahreswechsel unmenschliche Abschiebungen statt, bei denen Menschen mitten in der Nacht aus ihrem Leben gerissen wurden. Auch hier setzt ein neuer Polizeipräsident vermehrt auf rassistische Kontrollen im Alltag. Auch hier ist das viel gelobte Prinzip der „eigenen Wohnung“ kein Schutz vor Vermietern, die die Lage der Menschen ausnutzen. Und nicht zuletzt sind in unmittelbarer Nachbarschaft wie etwa in Schwelm, Menschen jahrelang in unwürdigen Lagern untergebracht, oder es verschwinden ganze Familien in der Isolation, wie im so genannten „Anker-Zentrum“ in Ratingen. Unter der weichen Decke eines Labels als „flüchtlingsfreundlicher“ Stadt läuft das alles ohne größeren Protest fast unbemerkt ab.
Wenn wir uns an einem Scheidepunkt unserer bisherigen Arbeit befinden, an dem wir nicht so weitermachen können wie in den letzten Jahren, wollen wir nicht einfach „verschwinden“, sondern stattdessen zu einer Neugründung einer migrationspolitisch konsequenten Gruppe in Wuppertal aufrufen. Wir verstehen diesen Aufruf als Angebot an alle, die das alles nicht länger stumm verfolgen wollen. Denn wir brauchen euch als Mitstreiter*innen für einen Neustart: Um die politische Arbeit fortzusetzen und Ideen zu entwicklen, wie wir in Wuppertal praktisch eingreifen können.