welcome2wuppertal! War da nicht was?
Im August 2014 erschien auf dieser Website der erste Beitrag. In ihm informierten wir über die Gründung der Gruppe w2wtal. Dort hieß es: „In Wuppertal hat jetzt eine Gruppe zusammengefunden, um aus linker Praxis heraus möglichst konkrete solidarische Strukturen [für Refugees und Migrant:innen] aufzubauen.”
Der (vorläufig) letzte Beitrag von uns erschien fast auf den Tag genau fünf Jahre später. Diese fünf Jahre und auch die Zeit seither waren ein harter Ritt durch rechte Diskursverschiebungen und völkisch-rassistische Verirrungen. Mit einer kurz währenden Ausnahme, dem Sommer 2015 vor zehn Jahren, pushten bekannte und unbekannte Akteure aus Politik und Medien mithilfe entfesselter Straßenmobs ihre rechten Positionen und menschenverachtenden Haltungen in den Mainstream.
In jenem letzten Beitrag 2019 riefen wir gemeinsam mit der Seebrücke Wuppertal zum „zivilem Ungehorsam” gegen die schon damals weit nach rechts gerückte (Migrations-) Politik auf. In der im Wortlaut dokumentierten Kundgebungsrede hieß es unter anderem: „Heute haben es die Seehofers und De Maizieres an der Regierung geschafft. Im Zusammenspiel mit BILD und anderen willigen Medien haben sie den Diskurs derart weit nach rechts verschoben, dass heute auch ein SPD-Mitglied und ehemaliger Vorsitzender des Wuppertaler Integrationsrates, Helge Lindh, einer Entrechtung geflüchteter Menschen im Bundestag zustimmt und Kritik an seinem Verhalten als ,unzulässigen Druck‘ bezeichnet.”
Mit unserem w2wtal-Banner forderten wir über einem Portrait De Maizieres, die „Innenministerkrise“ zu lösen, anstatt sich an einer imaginierten „Flüchtlingskrise“ abzuarbeiten. Doch nichts wurde gelöst – lediglich das Portrait De Maizieres hätte zwischenzeitlich durch das Bild einer Nancy Faeser und inzwischen mit dem Gesicht von Dobrindt ersetzt werden müssen. Von heute zurückschauend, wirken die damaligen Positionen De Maizieres oder seines Vorgängers Seehofer Im Vergleich zu Faesers und Dobrindts Politik fast „linksliberal”. Seehofer forderte damals „nur” eine Höchstgrenze zur Aufnahme von 250.000 Geflüchteten pro Jahr. Dagegen erhob sich seinerzeit noch ein breiter Protest, was auch verdeutlicht, wie weit inzwischen auch eine (zivil-) gesellschaftliche Gewöhnung an täglich geäußerter Menschenverachtung vorangeschritten ist.
Wenn wir die in der aktuellen Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD ausgehandelten protofaschistischen Vorhaben betrachten, wird eindeutig klar, dass es längst nicht mehr um „Belastungsgrenzen“, sondern um die prinzipielle Abschaffung eines Rechts auf Asyl und den Widerruf der Zugehörigkeit von mit uns hier lebenden zugewanderten Menschen geht.
Alles also finster? Ein Blick zurück
Manchmal hilft es ja, sich Vergangenes nochmal zu vergegenwärtigen. (Archiv/ Beitragsübersicht) Im Rückblick auf die elf Jahre seit der w2wtal-Gründung fällt auf, dass wir auch 2014 schon der Ansicht waren, die deutsche Asylpolitik sei seit der Wiedervereinigung bereits stetig unerbittlicher geworden. Die gegen massiven Widerstand mit den Stimmen der Unionsparteien und auch damals schon der SPD durchgesetzte Verschärfung des Asylrechts 1992, die brennenden Häuser und Toten in Lübeck, Mölln oder Solingen oder das Pogrom von Rostock schienen uns schon 2014 nur der Auftakt eines mörderischen gesellschaftlichen Umgangs mit Gefüchteten und Migrant:innen gewesen zu sein. Und auch damals machte uns nur wenig Hoffnung auf eine Verbesserung.
Es gab allerdings Widerstand, vor allem von den Refugees selber. Die Gründung von w2wtal fand vor dem Hintergrund zäher Flüchtlingskämpfe um ein würdevolleres Dasein und eine menschliche Perspektive in Deutschland statt. Die damaligen Kämpfe gingen um lebensermöglichende Unterkünfte, gegen eine restriktive Residenzpflicht und ein immer rigideres „Dublin”-Regime. Auf europäischer Ebene begann die kalte Politik des Sterbenlassens im Mittelmeer, die zuvor noch rettenden Einsätze der offiziellen Boote wurden aufgegeben und durch eine zunehmende Kriminalisierung privater Initiativen ersetzt, die bis heute verzweifelt versuchen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten.
Medial fanden die Protestcamps gefüchteter Menschen oder der Refugee-Marsch nach Berlin 2014 – noch vor dem später so genannten „Sommer der Migration” – jedoch kaum statt. Zur Lebenssituation von Migrant:innen gab es nur vereinzelte Berichterstattung durch interessierte Journalist:innen. w2wtal erfand sich deshalb nicht zuletzt, um die Situation nach Deutschland und speziell von nach Wuppertal gekommenen Menschen öffentlich wahrnehmbarer zu beleuchten.
Als mit den Passprivilegien ungefährdeter Aufenthalts-, Arbeits- und Wohnmöglichkeiten und auch sozial und gesundheitlich abgesicherte linke Aktivist:innen wollten wir unsere Möglichkeiten in die Kämpfe der Migrant:innen einbringen und darüberhinaus auch für völlig entrechtete Papierlose Anlaufstation sein. Wir begannen, Info-Veranstaltungen durchzuführen, Kundgebungen zu organisieren und Kontakte zu Geflüchteten aufzubauen. Dabei stellten wir fest, dass die Themen Flucht und Fluchtabwehr zivilgesellschaftlich keineswegs so „tot“ waren wie es zeitweise erscheinen konnte. Berichte zur unwürdigen Behandlung Geflüchteter erschütterten viele Teilnehmer:innen der Veranstaltungen und Aktionen. Es zeigte sich, dass die medial verbreitete Anti-Migrations- Stimmung nicht die Haltung der Mehrzahl der Menschen abbildete. Es gab sehr viel Interesse und Zuspruch von Interessierten, viele drückten aber auch eigene Hilflosigkeit angesichts der flüchtlingsfeindlichen Diskurse der „großen Koalition” unter Angela Merkel und Sigmar Gabriel aus. Es war eine Hilflosigkeit, die sich offenkundig anstaute und die sich nur ein Jahr später, 2015, als Tausende zu Fuß über die „Balkanroute” kamen, in einer vorher so nicht erwartbaren massenhaften und selbstorganisierten Hilfsbereitschaft und Solidarität weiter Teile der Bevölkerung auflöste. Für eine kurze Zeit kehrten sich angesichts dessen die zuvor feindlichen Diskurse in Medien und Politik um. Selbst die BILD hieß kurzzeitig auf ihrer Titelseite Flüchtlinge willkommen.
Kontrollverluste. Ein Blick voraus
Doch die Bereitschaft der Bevölkerung, sich für die Ankommenden zu engagieren, überstieg bei Weitem die Bereitschaft der Politik, (infra-) strukturelle Veränderungen im Bildungssystem oder im Wohnungsbau oder gar im Umgang mit Gefüchteten, Zuwanderung und Fluchtursachen einzuleiten. Das riesige zivilgesellschaftliche Engagement (teilweise engagierten sich mehr als die Hälte der Menschen auf die ein oder andere Weise) konnte diese Versäumnisse nicht unbegrenzt auffangen.
Die (kommunalen) Verwaltungen gerieten spätestens Ende 2015 wegen der vorangegangenen politischer Fehler und Versäumnisse in Folge der gestiegenen Flüchtlingszahlen unter Druck. Dabei gab es jedoch große Unterschiede bei den Möglichkeiten. In einer Stadt wie Wuppertal, die vorher eine „Shrinking City“ war, kehrte der „Sommer der Migration“ die fatale demografische Tendenz um; es gab genügend Wohnungsleerstand um die meisten Ankommenden in Wohnungen unterzubringen und es wurde einiges getan, den Menschen beim Ankommen in Wupertal zu helfen. Nicht zuletzt deshalb genoss Wuppertal lange den Ruf einer besonders flüchtlingsfreundlichen Stadt. In der kurzen Zeitspanne, in der neu nach Deutschland Gekommene hre Niederlassung frei wählen konnten, entschieden sich viele, die es vor Ort, (vor allem in Ostdeutschland), schlechter angetroffen hatten, für einen Umzug nach Wuppertal. Doch auch hier fiel es der Stadtverwaltung auf Dauer schwerer, das freundliche Niveau zu halten, das anderswo freilich niemals erreicht werden konnte. Zehn Jahre später lässt sich feststellen, dass der (überproportionale) Zuzug von Neu-Wuppertaler:innen eher reibungslos in die Stadtgesellschaft integriert werden konnte. Wuppertal hat durch den „Sommer der Migration” zweifellos gewonnen. Die politischen Angriffe auf die Migrationsgesellschaft sind deshalb auch Angriffe auf die Wuppertaler Stadtgesellschaft.
Allen Schwierigkeiten zum Trotz machten viele vor zehn Jahren überall im Land positive Erfahrungen der Selbstermächtigung und Selbstorganisation. Denn auch wenn konkrete Erfolge und Verbesserungen nur vereinzelt erreicht werden konnten, so waren die Verbindungen, die dadurch geschaffen wurden, ein wirkmächtiges Werkzeug gegen Vereinzelung und Ausgeliefertsein. Wer in Strukturen eingebunden ist, findet im Notfall eher eine Möglichkeit unterzuschlüpfen oder einen Rat, wenn es irgendwo hakt. Wenn später seitens der Politik und der Medien oft zu hören war, „2015 dürfe sich wegen des Kontrollverlustes nicht wiederholen”, so waren damit wahrscheinlich eher die von vielen geteilten Erfahrungen solidarischen und selbstbestimmten Umgangs gemeint, als die zumeist angeführten Sicherheitsaspekte.
Selbstermächtigung bedeutet eben immer auch „Kontrollverlust“ staatlicher Stellen. Es fällt schon auf, dass alle Situationen, in denen es auf breiter gesellschaftlicher Ebene einen selbstbestimmten solidarischen Impuls gab, im Nachhinein in ein Katastrophen-Narrativ eingebettet werden. Das war mit dem Sommer 2015 so, das wiederholte sich mit dem (zunächst) eher solidarischen Umgang mit der Pandemie fünf Jahre später. Das ist gemeint, wenn die Politik regelmäßig vorgibt, 2015 oder 2020 dürften sich nicht wiederholen. Es scheint geboten, aktuell wieder solche „Kontrollverluste” herbeizuführen. Heute gilt noch mehr als vor zehn Jahren, dass wir alle wirkmächtige Werkzeuge gegen eine lähmende Vereinzelung und scheinbar übermächtige Entwicklungen brauchen.
Aus eigenen Irrtümern lernen
Auch wir machten als Gruppe die Erfahrung eines „Kontrollverlustes“, wenn auch auf andere Weise. Ab 2015 rückte für uns politischer Aktivismus, der am Anfang unseres Engagements stand, mehr und mehr in den Hintergrund. Abgelöst wurde er von konkret unterstützenden Aktionen mit und für „Neu-Wuppertaler:innen“. w2wtal wurde Teil der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation, wenn auch nicht nur. Ein von uns noch vor dem Sommer 2015 erstmals angebotenes gemeinsames Frühstück mit Geflüchteten und Unterstützer:innen wuchs zu einer immer größeren regelmäßigen Veranstaltung und war nach einer Weile unsere wahrnehmbarste „Aktionsform“ für die nächste Zeit. Gepaart mit konkreter Sozial- und Flüchtlingsberatung oder mit sprachlichem Unterricht beanspruchte die Unterstützung neuer Bekannter und Freundinnen fast unsere ganze Zeit und Energie.
Unser Anspruch, über ein zivilgesellschaftliches Engagement hinaus eine auch politisch wirksame Zusammenarbeit mit den neu nach Wuppertal Gekommenen zu entwickeln, konnte nur in Teilen eingelöst werden. Sie scheiterte im Alltag häufig an teils naiven Herangehensweisen und an Fehleinschätzungen der entstandenen Gesamtsituation. Nur vereinzelt entstanden Situationen, wie wir sie uns dauerhafter gewünscht hätten – etwa während der vorbereitenden Veranstaltungsreihe vor einer gemeinsamen Busreise zur ersten „We‘ll come United“-Parade in Berlin (2017), bei der schließlich mehr Neu-Wuppertaler:innen im vollen Reisebus saßen als Altaktivist:innen, oder bei einem Statement Geflüchteter, mit dem sie sich dagegen wandten, Refugees aufgrund ihrer Herkunft unterschiedlich zu behandeln.
Spätestens mit der zweiten „We‘ll come United“-Parade in Hamburg (2018), an der mehr als 30.000 Menschen teilnahmen, wuchsen bei einigen Aktivist:innen Zweifel daran, einfach so weitermachen zu können wie bis dahin. In ihrer Wahrnehmung war die zweite Demo-Parade geflüchteter und nicht-geflüchteter Menschen deutlich weniger politisch als die erste und erinnerte teilweise an ein Event. Und das passierte in einem Land, das nach einer kurzen Hinwendung zu den Geflüchteten schon wieder in hinlänglich bekannte unerträgliche Diskursmuster zurückgefallen war. Die Fragilität des scheinbar Erreichten geriet mit wenigen Ausnahmen in Vergessenheit. Auch bei manchen von uns. Etwas, was viele Politikfelder betraf, wie wir heute sehen müssen.
Ein Versuch, uns neu aufzustellen und aus zuvor gemachten Fehlern zu lernen, gestaltete sich zunächst aber holperig. Die wenig später alles beherrschende Corona-Pandemie gab diesem Versuch einstweilen den Rest. War es ohnehin nicht einfach gewesen, dauerhafte persönliche Verbindungen aufzubauen, so nahmen die entstandenen durch die pandemiebedingten Umstände weiteren Schaden. Wenn die selbstorganisierten Verbindungen durch Unachtsamkeiten fragil geblieben waren, so waren sie jedenfalls nicht fest genug um die Herausforderungen einer potentiell tödlichen Pandemie zu überstehen.
Dennoch, wir waren währenddessen und danach nie weg. Die meisten, die w2wtal ausgemacht hatten, blieben auf ihre Art aktiv, verborgener, konzentrierter. So wird es auch bleiben und wir wissen uns damit nicht alleine. Viele Netzwerke haben sich wiedergefunden oder wurden neu aufgebaut. An ihnen und den Geflüchteten selbst wird rassistische und menschenverachtende Politik letztlich scheitern, wie wir hoffen. Auch wenn selbstorganisierter Widerstand seltener wahrzunehmen ist als 2014. Doch mit zunehmender Ausgrenzung wird sich auch das ändern (müssen).
Die aktuellen Entwicklungen machen es inzwischen wieder notwendig, uns auch selber öffentlich wahrnehmbarer zu äußern. Angesichts der fortschreitenden Faschisierung muss der Versuch unternommen werden den öffentlichen Diskursen eigene Themen entgegenzusetzen und sich Menschen wieder als Unterstüzungsanker anzubieten, die in Angst versetzt werden (sollen). Eine politische und rechtliche Einordnung des Geschehens und Hilfe beim Aufbau selbstorganisiertenr Strukturen bleiben notwendig. Denen, die sie sich um ihre Zukunft in Wuppertal oder um die Zukunft ihrer Freunde und Freundinnen oder ihrer Liebsten Sorgen machen, müssen aufenthaltsrechtlich und sozial Privilegierte beistehen.
In diesem Sinne: welcome2wuppertal! Sie werden nicht durchkommen! ¡ No Pasarán !
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Beitragsbild: „Borders“ von M.I.A.