Empathielos hinter Floskeln verschanzt

Der Wuppertaler Stadtrat lehnt jede Hilfe für in Griechenland festsitzende Familien von Neu-WuppertalerInnen ab. Zum leider erfolglosen Abschluss unserer Initiative.

«Sie sollten sich schämen für alles, was Sie nicht tun, obwohl Sie es tun könnten!» (Gunhild Böth, Die LINKE)

Gemeinsam mit anderen unterzeichnenden Gruppen und Einzelpersonen haben wir mit einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Andreas Mucke (SPD) und die im Rat vertretenen Parteien versucht, Bewegung in die festgefahrene Situation der in Griechenland festsitzenden geflüchteten Menschen zu bringen. Vor allem für Angehörige von bereits in Wuppertal lebenden Menschen wollten wir erreichen, dass der Rat der Stadt einen Appell an Landes- und Bundesregierung formuliert, aus humanitären Gründen schnell und unbürokratisch Geflüchtete aus griechischen Internierungslagern nach Deutschland zu holen. Die Stadt Wuppertal sollte außerdem bekunden, ein angemessenes Kontingent dieser Menschen hier aufzunehmen.

Die Ratsfraktion der Partei «Die LINKE» schloss sich unserem Anliegen an und brachte einen Antrag in den Integrations- bzw. Stadtrat ein, der weitgehend auf unseren Forderungen basierte. Es gab die Hoffnung, dass sich auch andere Fraktionen einer solchen humanitären Erklärung anschließen könnten – zumal wenige Tage vor der Stadtratssitzung in Osnabrück ein ähnlich formulierter Antrag eine Mehrheit fand. Leider mussten wir feststellen, dass die Empathie mit Neu-WuppertalerInnen und ihren Angehörigen bei den Mehrheitsfraktionen und den Grünen hinter parteitaktischen Erwägungen zurücksteht.

Eine Zustimmung zum Antrag von Die LINKE kam für sie offenbar nicht infrage. Um aus kosmetischen Gründen zu verhindern, dass die Mehrheitsfraktionen gemeinsam mit im Stadtrat sitzenden Rechten gegen die Resolution stimmen müssen, nutzten SPD und CDU zynisch einen parlamentarischen Trick. Der Antrag der Fraktion «Die Linke» wurde im Integrationsausschuss, dessen Beratung einer Stadtratsentscheidung notorisch vorangeht, gar nicht erst behandelt. Um das zu erreichen, formulierten die Mehrheitsfraktionen einen Teil des Antrages, in dem den MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung für ihr Engagement beim Zuzug Geflüchteter gedankt werden sollte, noch am Tag der Sitzung des Integrationsrates um. Sie erweiterten den Passus um einen Dank auch an ehrenamtliche HelferInnen.

Der Teil, in dem es um die in Griechenland Festsitzenden gehen sollte, wurde dahingehend verstümmelt, dass das Wort Griechenland im Antrag gar nicht mehr vorkam. Stattdessen bekannten sich die Fraktionen von CDU und SPD mit nichtssagenden Floskeln zum Asylrecht und bekräftigten, weiterhin bereit zu sein, der ohnehin gesetzlich verankerten Aufnahme von Flüchtlingen weiter nachzukommen . Der Vorsitzende des Integrationsausschusses, Helge Lindh, beschied dem gemeinsamen Antrag seiner Partei und der CDU, «weitergehend» als der ursprüngliche zu sein und begründete dies mit der Ausdehnung der Dankesworte. Der Antrag zu unserer Forderung wurde auf diese Weise durch ein allgemeines Bekenntnis zum Asylrecht ersetzt und eine Abstimmung über eine Unterstützung der in Griechenland Festsitzenden im Stadtrat verhindert.

Dass es am 4. Juli im Stadtrat dennoch zu einem verbalen Schlagabtausch kam, war der Fraktion «die LINKE» und der Stadtratsverordneten Gunhild Böth zu verdanken, die bei der Debatte über den floskelhaften Antrag von SPD und CDU das ursprüngliche Anliegen nochmals einbrachte. In Erwiderung zur Haltung der «Grünen», für die der Verordnete Simon erneut den uns bereits brieflich mitgeteilten Notausgang bemühte, (Die Stadt habe bei der Frage der Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland leider «gar keine eigenen Möglichkeiten»), betonte Gunhild Böth einen auch für eine Kommune gangbaren Weg.

Sie verwies auf das «Relocation»-Programm aus dem Jahr 2015, mit dem innerhalb der EU Menschen, die in Italien oder in Griechenland festhängen, auf andere EU-Länder umverteilt werden sollen. Für Deutschland bedeutete diese Vereinbarung die Aufnahme von 27.000 Menschen aus den Ländern in Europas Süden. Nach einem Jahr «Relocation» sind aus diesem zugesagten Kontingent jedoch gerade einmal 57 Menschen Deutschland angekommen – eine Quote, mit der Deutschland EU-weit auf dem vorletzten Platz liegt, nur noch vom protofaschistischen Ungarn unterboten.

«Die LINKE» schlug daher vor, die Stadt Wuppertal solle, analog zur Entscheidung der Stadt Osnabrück, eine «angemessene Zahl» freier Plätze für Zuteilungen aus dem «Relocation»-Programm an den Bund melden – immerhin begründet die Bundesregierung die geringe Zahl im Rahmen des Programms Aufgenommener gerne mit fehlenden Kapazitäten. Dass diese in Wuppertal existieren, hatte bei der Sitzung des Integrationsausschusses ironischerweise ausgerechnet der zuständige Leiter des Amtes betont und als Erfolg seiner Behörde bei der Bewältigung der «gewaltigen Aufgabe» verkündet.

Jürgen Lemmer berichtete im Ausschuss, dass im ersten Halbjahr 2016 nur noch 1.212 Menschen in Wuppertal Zuflucht gesucht hätten, mit sinkender Tendenz. Im Juni waren gerade einmal noch 66 Menschen in der Stadt angekommen. Die Unterkünfte am Röttgen und in der Hufschmiedstraße sind ungenutzt und die Übergangsheime der Stadt haben eine Belegungsquote von unter 10%, weil die meisten der in der Stadt angekommenen Menschen inzwischen in eigene Wohnungen gezogen sind. Auch wenn die Unterbringung in Heimen oder Unterkünften wie in der Schule Hufschmiedstraße zu kritisieren war und ist, verglichen mit der Lage in den griechischen Internierungslagern würde sie für die betroffenen Menschen eine enormen Verbesserung darstellen. Das hat der Besuch einer w2wtal-Aktivistin im Lager Oreokastro nochmals deutlich gemacht.

Die im Rat der Stadt Wuppertal vertretenen Parteien (außer «die Linke») haben es verpasst, von hier aus ein Signal an die deutsche Öffentlichkeit zu senden. Vor allem aber haben sie diejenigen, die neu mit uns hier leben und sich um ihre festsitzenden Angehörigen und FreundInnen sorgen, alleine gelassen und sich nicht zu deren Anwalt gemacht. Das ist es, was Gunhild Böth meinte, als sie sagte, sie müssten sich schämen für das, was sie nicht tun, obwohl sie es tun könnten. Für eine Kommune, die sich intern gerne dafür feiert, immer «zu den ersten zu gehören, die unbürokratisch handeln», wie Stephan Kühn (der SPD-Sozialdezernent), im Stadtrat sagte, ist das empathielose Verschanzen hinter Floskeln bezüglich der in Griechenland Gestrandeten schlicht erbärmlich.

Wir haben es mit unserer Initiative leider nicht geschafft, Bewegung auszulösen, auch medial ist der Versuch leider fast unbemerkt geblieben. Für uns als politisch aktive Initiative neuer und alteingesessener WuppertalerInnen hat sich erneut erwiesen, dass die Energien, die in die Politikmaschine gesteckt werden, allzu oft sinnlos verschleudert sind – eine echte Debatte ist einfach nicht möglich. Wir werden daraus unsere Konsequenzen ziehen und uns der eigentlichen Aufgabe stellen: Der Unterstützung jener geflüchteter Menschen, die sich selbst organisieren. Mit ihnen gemeinsam werden wir weiter gegen «Fortress Europe» und eine Politik kämpfen, die über die Köpfe Betroffener hinweg Flüchtende als Manövriermasse und Teil parteitaktisch geprägter Politik behandelt. Wer uns dabei unterstützen will, ist herzlich dazu eingeladen.

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