Das No Border Camp in Thessaloniki

Die w2wtal-Aktivistin Judith war im No Border Camp in Thessaloniki. Das Camp, für das die Uni in Thessaloniki besetzt wurde, war als transnationaler Aufbruch gegen die „Festung Europa“ gedacht und sollte AktivistInnen aus vielen Ländern und Geflüchtete zusammenbringen. Wir haben Judith nach ihrer Rückkehr zu ihrer Einschätzung der zehn Tage befragt.

Das Interview führte Loba.

Judith, du bist im No Border Camp in Thessaloniki gewesen, wie war es?

Über die zehn Tage verteilt waren viele Leute da, um die 1.500. Das ist ja immer ein Kommen und Gehen. Anfangs dachte ich, dass es ein eher deutsches Camp wird, doch dann kamen immer mehr Leute aus verschiedenen Ländern des Balkan und am Montag kam die große Karawane aus Spanien mit mehreren hundert Leuten, die mit Bussen angereist sind. Die hatten unterwegs noch einige Aktionen gemacht und kamen dann am vierten Camp-Tag in Thessaloniki an. Dann wurde es tatsächlich ein richtig internationales Camp.

Wo war das Camp untergebracht?

Auf dem Campus der Uni in Thessaloniki, eigentlich mitten in der Stadt.

Gab’s Trouble mit den Cops?

Erstaunlich wenig. Es ist tatsächlich so, dass die den Campus nicht betreten. Deren Arbeit machen eher die dort anwesenden Drogendealer, die oft als Spitzel für die Cops arbeiten, wie uns die griechischen Genossinnen erzählt haben. Die haben auch oft versucht, ins Camp zu kommen und auch an Workshops teilzunehmen. Das wurde aber nicht zugelassen.

Waren auch Refugees im Camp?

Nachher waren es ziemlich viele. Darum wurde sich sehr bemüht, es wurde z.B. ein Shuttle mit PKWs eingerichtet, damit die Geflüchteten aus den elf Lagern, die um Thessaloniki herum existieren, ins Camp kommen konnten. So waren nach zwei, drei Tagen viele Menschen aus Syrien, Pakistan oder Afghanistan dabei. Die haben dann vom Leben in den Lagern berichtet, Wandzeitungen erstellt und es gab auch mehrere Veranstaltungen zu Migrantinnen-Selbstorganisation.

Gab es von den Refugees Einschätzungen zur Gesamtlage, nachdem die Grenzen in Europa geschlossen wurden?

Die, mit denen ich redete, haben alle gesagt, wir müssen uns jetzt selbst organisieren. Interessant war auch die Perspektive der griechischen Genossen, bzw. der Refugees, die schon länger in Griechenland leben. Die sehen natürlich, das sich die Geflüchteten vor allem jetzt eine Basis, z.B. ökonomisch, aufbauen müssen oder unbedingt Wohnraum brauchen.

Vom griechischen Staat gibt es da nichts? Wohnungen z.B.?

Nee, die Unterbringung erfogt rein privat, u.a. in Squats, in die Geflüchtete einziehen. Auch während des Camps wurde in Thessaloniki ein Haus besetzt*. Es sind ziemlich viele Häuser besetzt – in Athen z.B. das City Plaza Hotel, das «beste Hotel der Welt», wo mehrere hundert Leute leben. Von denen gab es auch nen Workshop während des No Border Camps.

Von der Hausbesetzung und auch von der Besetzung der Fernsehstation zu Beginn haben wir auch hier etwas mitbekommen, was ist an Aktionen rund ums Camp noch so gelaufen?

Es gab ein «Go-In» in der IOM (eine internationale Migrations Organisation), da sind u.a. ein paar Computer und Akten aus dem Fenster geflogen. Genaues kann ich dazu nicht sagen, ich weiß nur, dass die IOM reichlich verhasst ist, weil die an Abschiebungen bzw. an «freiwilligen Rückführungen» beteiligt ist.

Ansonsten gab es Demos und Besuche von Camps – zu einem Besuch eines Camps in Oreokastro hast du ja auch einen Bericht verfasst…

Da gab es mehrere. Da wurden Busse gechartert, da sind dann Leute aus dem Camp hingefahren, einmal um die Situation zu erfahren, aber auch um z.B. die Campzeitung, die auf griechisch, englisch und arabisch erschienen ist, zu den Geflüchteten in die Camps zu bringen. Die sollten ja auch auf das Camp aufmerksam gemacht und zur Beteiligung eingeladen werden. Das haben dann auch einige wirklich wahrgenommen und sich beteiligt. Deswegen waren so ab Montag eben auch recht viele Refugees im Camp: Familien, Frauen und vor allem viele Kinder. Sehr viele Kinder.

Die Demos haben in Thessaloniki stattgefunden?

Ja. Es gab allerdings auch mehrere Demos an den beiden Abschiebeknästen und dann gab es natürlich die größere Aktion an der türkisch-griechischen Grenze am Samstag, wo es auch zu kleineren Riots gekommen ist. Da war ich allerdings selber nicht dabei, deswegen kann ich dazu nicht viel erzählen.

Wie fällt insgesamt deine Einschätzung zum Camp aus? Was war für dich in den zehn Tagen das Positivste?

Für mich war das Wertvollste sicher, die Aktivistinnen aus verschiedenen Ländern kennenzulernen, und Kontakte zu Ansprechpersonen herzustellen. In einem Workshop ging es zum Beispiel um Dublin und für mich war es wichtig, Leute kennenzulernen aus Ländern in die Menschen aus Deutschland hin abgeschoben werden, z.B. aus Bulgarien. Von denen konnte ich mal wirklich erfahren, wie die Situation der Abgeschobenen tatsächlich ist. In Bulgarien werden die abgeschobenen Menschen z.B. erstmal direkt inhaftiert.

Auf welcher Basis werden die dort inhaftiert?

Das entspricht eigentlich nicht den EU-Aufnahmerichtlinien, aber das passiert einfach. Deswegen sind diese Erste-Hand-Infos aus diesen Ländern z.B. für hier tätige Rechtsanwälte auch so wertvoll, weil die sich in den Verfahren normalerweise nur auf oft geschönte offizielle Angaben stützen können. Deswegen gab es zuletzt eine Delegation von Rechtsanwältinnen nach Tschechien. Das kann natürlich nicht kontinuierlich geschehen. Wenn es nun Kontakte zu vor Ort existierenden Strukturen gibt, ist das hilfreich.

Konntest du mit Menschen aus Polen oder Ungarn reden? Wie lebt es sich für Aktivistinnen in den Visegrad-Staaten? Haben die was erzählt?

Die Genossinnen aus Bulgarien sind z.B. in einer echt beschissenen Lage, das sind insgesamt nur sehr wenige – deutlich weniger als z.B. in einer deutschen Großstadt. Und die Freunde aus Sofia sagen, dass es ungeheuer wichtig wäre, mehr Kontakte zu den Grenzen zu haben, wo Geflüchtete regelmäßig von Milizen gejagt und zusammengeschlagen werden. Und zumindest in Sofia würde z.B. ein Soziales Zentrum als Anlaufpunkt dringend benötigt. Im Augenblick sind sie aber zu wenige, um soetwas durchzusetzen. Am liebsten hätten sie deshalb auch Support aus anderen Ländern, von Menschen, die sich vorstellen können, mal nach Sofia zu gehen und dort gemeinsam etwas aufzubauen.

Anfang des Jahres habe ich ja die Diskussionen innerhalb der radikalen Linken verfolgt, als es darum ging, ein solches Camp aufzuziehen. Damals haben viele ein solches internationales Treffen ja noch als wichtigen Punkt in der gesamten Auseinandersetzung um eine «Festung Europa» angesehen. Seitdem haben sich die Dinge ja ungeheuer beschleunigt und verändert – ist für dich von dem Camp irgendeine Form von «Aufbruch» gegen die Etablierung des Grenzregimes ausgegangen? War es der Anfang einer «Gegenoffensive» gegen den Rollback?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Aber in Griechenland wurde z.B. durch das Ende der realen Bewegung – also der Migration – auch die Dynamik gestoppt. Da ist zur Zeit auch nicht wirklich dran zu rütteln. Es kommen zwar immer mal wieder Leute durch – aber nur mit viel Geld z.B. Vielleicht wäre Italien dafür der geeignetere Ort gewesen… Über Leute vom Alarmphone habe ich mitbekommen, dass an einem Tag alleine 1.800 Leute in Italien angekommen sind. Dort wird derzeit auch eher die Dynamik der Migrationsbewegung sein. In Griechenland ist das alles etwas zum Erliegen gekommen und konzentriert sich derzeit auf den rechtlichen Weg der Familienzusammenführung z.B.

Hast du also im Camp eine ähnliche Frustration wiedergefunden, wie sie derzeit viele Menschen aus politisch arbeitenden Initiativen hier haben?

Die totale Stagnation drückt natürlich auf die Stimmung. Es gibt nicht wirklich das Gefühl, auf der politischen Ebene etwas bewegen zu können. Viele konzentrieren sich momentan eher auf die rechtlichen Ebenen: Etwa Dublin-Verfahren, Familienzusammenführung usw. Viele, etwa in Griechenland, befinden sich ja auch selber in teilweise existenziellen Krisen. Denen gehen inzwischen die Resourcen aus – die Spendenaufrufe für Spielzeug für Kinder in den Camps sind absolut ernstgemeint.

Die zehn Tage waren außerhalb des Camps ja auch ereignisreiche Tage. Da war Nizza, oder der versuchte Putsch in der Türkei. Habt ihr im Camp davon etwas mitbekommen? Hatte das einen Impact für die Thematik des Camps?

Die Anschläge eher nicht, aber der Putschversuch in der Türkei ganz massiv. Die Beendigung des EU-Türkei-Deals war ja ohnehin ein zentrales Anliegen des Camps. Aber auch die Forderung nach sicheren Korridoren wurde mit den Ereignissen in der Türkei noch dringlicher. Es gab eine größere Gruppe von Genossinnen aus der Türkei im Camp, und von denen haben sich noch in der Zeit des Camps viele überlegt, ob sie überhaupt noch in die Türkei zurückkehren sollen. Die haben dann auch einen Protstmarsch zur türkischen Botschaft in Thessaloniki organisiert.

Haben die etwas geäußert, was wir hier in der aktuellen Lage tun könnten?

Manche haben vielleicht noch die Illusion, wir hätten viel Einfluss auf unsere Politikerinnen. Die wünschen sich, dass wir Druck auf die europäischen Regierungen machen, Erdogan zu kritisieren und den EU-Türkei-Deal zu kippen. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Türkei weder ein sicheres Dritt- noch ein sicheres Herkunftsland ist. Es werden jetzt mit Sicherheit wieder viele türkische Flüchtende kommen. Einige befinden sich ja bereits in Europa.

Unterm Strich bist du mit deiner Entscheidung, nach Thessaloniki zu fahren, aber insgesamt zufrieden?

Ja, vor allem wegen der Kontakte und weil mich das transnationale Netzwerk von Aktivistinnen schon auch sehr beeindruckt hat.

Würdest du dir wünschen, dass eine Gruppe wie welcome2wuppertal in Zukunft wieder etwas über den Talkessel hinausschaut und sich transnational noch besser vernetzt?

Da würde ich mich total drüber freuen, insbesondere, wenn sich Menschen beteiligen würden, die die erforderlichen Sprachkenntnisse haben. Es gibt so tolle Projekte überall – z.B. das Alarmphone, wo jeden Tag Menschenleben gerettet werden. Da braucht es dringend Übersetzungen von Berichten oder sogar am Telefon der Seenotrettung selber. Auf dem Balkan soll jetzt eine ähnliche Struktur ausgebaut werden, weil auch entlang der Route immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Da soll es in Zukunft auch eine Vernetzung geben, für die noch dringend Support gesucht wird. Dafür braucht es noch Leute die spezielle Kenntnisse haben und die Sprachen können. Wenn sich da Leute einbringen wollen, können die sich über die Kontakte, die z.B. bei Welcome to Europe (w2eu.info) gelistet sind, einfach melden.

Danke.

* Am Tag nach dem Interview (27.7.) wurde bekannt, dass die griechische Polizei drei teilweise bereits seit mehreren Monaten bestehende Squats geräumt hat. Die dort lebenden Refugees wurden in ohnehin bereits überfüllten Isolierungslager gebracht. Betroffen ist auch das im Interview erwähnte, während des Camps besetzte Hausprojekt. Dass die nominell linke Syriza-Regierung unmittelbar im Nachgang des in der griechischen Presse heftig skandalisierten No Border Camps zu Repressionen und Räumungen greift, verdeutlicht die verzweifelte Lage der geflüchteten Menschen in Griechenland.

thessa

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